SRH Hochschule Heidelberg
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Häusliche Gewalt - ein wichtiges gesellschaftliches Thema

Wie Betroffene von häuslicher Gewalt besser unterstützt werden können, das wurde im Rahmen des Projekts GUIDE4YOU untersucht, das nun mit einem Symposium erfolgreich abgeschlossen wurde.

Jede dritte Frau in Deutschland mindestens einmal im Leben Opfer von Gewalt

Am 30. September 2021 fand das von der Europäischen Union geförderte Projekt GUIDE4YOU einen erfolgreichen Abschluss. Im Rahmen eines digitalen Symposiums haben Expertinnen und Experten aus Wissenschaft, Politik und Praxis sowie interessierten Bürgerinnen und Bürger zum Thema häusliche Gewalt bei Frauen gemeinsam diskutiert. Im Vordergrund stand dabei die Umsetzung der Istanbul Konvention aus dem Jahr 2011. Zentraler Baustein des Projektes war dabei ein Online-Fragebogen zu häuslicher Gewalt, zur Inanspruchnahme des Hilfesystems und dessen Bewertung, welchen insgesamt 371 Frauen ausgefüllt haben. Einen weiteren zentralen Baustein des Projektes stellte der Lotsinnen-Service für gewaltbetroffene Frauen dar. Die Lotsinnen hatten die Aufgabe, die in Not geratene Frauen zu stabilisieren, zu informieren und letztendlich zu den entscheidenden wichtigen Hilfestellen zu begleiten, sie durch das Hilfesystem sicher zu navigieren.

Eben die enge Vernetzung der Hilfsstrukturen sei ein wesentlicher Erfolgsfaktor bei dem Vorhaben die Istanbul-Konvention wirksam umzusetzen, sagte die Bürgermeisterin Stefanie Jansen zu Beginn des Symposiums. Denn: „Von häuslicher Gewalt betroffene Frauen gut zu erreichen und nachhaltig in Unterstützungsstrukturen zu verankern stellt eine Herausforderung dar, die nicht nur uns in Heidelberg, sondern viele Kommunen und Landkreise deutschlandweit beschäftigt.“ Unterschiedlichste Fachdisziplinen (z.B. Gleichstellung, Medizin, Psychotherapie, Beratungs- und Hilfeeinrichtungen für häusliche Gewalt, Polizei, Verwaltung etc.) müssen auf kommunaler, regionaler und bundesweiter Ebene kooperieren, um häusliche Gewalt wirksam zu bekämpfen. Die sich hieraus ableitenden Fragen haben zu einem lebendigen und spannenden Austausch unter den Teilnehmenden geführt.

Verbesserung der existierenden Beratungsstrukturen für Frauen nach häuslicher Gewalt 

Das Projekt GUIDE4YOU wurde unter der Leitung der kommunalen Frauen- und Gleichstellungsbeauftragten Dr. Marie-Luise Löffler (Stadt Heidelberg)  über zwei Jahre erfolgreich umgesetzt. Das Amt für Chancengleichheit kooperierte dabei mit der Gewaltambulanz und der Klinik für Allgemeine Psychiatrie des Universitätsklinikums Heidelberg, der Fakultät für Angewandte Psychologie der SRH Hochschule Heidelberg, der Polizei und der Interventionsstelle für Frauen und Kinder.

Durch den anonymen Online-Fragebogen, dessen Auswertung die SRH Hochschule Heidelberg übernommen hat, konnten wichtige Erkenntnisse von über 371 Personen mit Gewalterfahrungen (98,4 Prozent weiblich) gewonnen werden. Im Vortrag von Prof. Dr. Nadia Sosnowsky-Waschek wurde u.a. deutlich, dass trotz eines gut ausgebauten Beratungssystems in Heidelberg zahlreiche Frauen noch keinen ausreichenden Zugang zu der Hilfe nutzen, den sie eigentlich benötigen. Viele Betroffene berichten, dass sie bereits im Kindes- und Jugendalter Gewalterfahrungen gemacht haben, die sich dann im Verlauf der Lebens regelmäßig oder in Phasen wiederholt haben, bei einem Drittel mit steigender Häufigkeit und Intensität. Dennoch erstatten 84 % Prozent der Opfer keine Anzeige und suchen selbst nach dem schlimmsten Vorfall in 70% keinerlei Hilfe auf. „Diverse psychologische Barrieren wie Scham, Schuld, Angst aber auch teilweise fehlendes Wissen über die Vielfalt der Unterstützungsstrukturen scheinen dabei eine zentrale Rolle zu spielen“, so Prof. Dr. Sosnowsky-Waschek. Wenn Hilfe gesucht wird, dann vor allem bei der Polizei. Viele gewaltbetroffene Frauen kontaktieren jedoch insgesamt nur eine Hilfestelle. Offenbar ist die Resignation, also die Erwartung von Misserfolg, bei vielen groß.  „Unsere Datenanalysen haben ergeben, dass sich viele Frauen emotionale Unterstützung, aber auch einen niedrigschwelligen Zugang zur Psychotherapie sowie konkrete Rechtsberatung wünschen“, erläuterte die Expertin. „Genau aus diesem Grund ist auch die Aufklärung und Sensibilisierung der Gesellschaft so wichtig: Wo beginnt Gewalt in der Partnerschaft? Und wohin kann ich mich wenden, wenn ich Hilfe benötige?“ Durch die Forschung werde das Thema häusliche Gewalt noch zu unsystematisch beleuchtet. Im Rahmen des Folgeprojektes „VOICE4YOU“, soll nun eine solide und differenzierte empirische Basis zur bundesweiten Erfassung häuslicher Gewalt geschaffen werden. „Wir müssen besser verstehen, was in unserer Gesellschaft passiert, wie wir gewaltbetroffene Frauen erreichen, sie psychologisch stärken sowie sie in das vorhandene Hilfesystem integrieren und letzteres auch weiter verbessern können“, so Sosnowsky-Waschek.

Die GUIDE4YOU-Lotsin schilderte zudem im Rahmen der Veranstaltung eindrücklich, dass durch den Lotsinnenservice ein niedrigschwelliges Angebot für gewaltbetroffene Frauen in Heidelberg geschaffen werden konnte, was den Zugang zu den örtlichen Hilfsstrukturen stark erleichtert und diese für Betroffene nutzbarer macht. „In den letzten Monaten konnte die Lotsin – trotz der erschwerten Bedingungen im Corona-Lockdown – zahlreiche Frauen individuell begleiten und sie bei der Inanspruchnahme von Beratungs- und Hilfestellen unterstützen. Wir sind dem Ziel – so viele Frauen wie möglich auf ihrem Weg aus der Gewalt zu begleiten – somit einen Schritt nähergekommen“, sagt Dr. Marie-Luise Löffler.

Expertinnenvorträge zum Thema Istanbul-Konvention/ häusliche Gewalt

Mit drei spannenden Fachvorträgen am Nachmittag konnten weitere wichtige Impulse zum Thema häusliche Gewalt gesetzt werden. Prof. Dr. Kathrin Yen, Leiterin der Gewaltambulanz des Universitätsklinikums Heidelberg, konnte in ihrem Vortrag eindrücklich aufzeigen, welche zentrale Wichtigkeit die Beweissicherung nach häuslicher Gewalt für die Betroffenen hat. Mit dem Fachvortrag der Juristin Frau Dr. Anne-Katrin Wolf konnte zudem aus strafrechtlicher Perspektive auf die Istanbul-Konvention – ein internationales Abkommen zur Bekämpfung von geschlechtsspezifischer Gewalt – geblickt werden. Im Vortrag von Katharina Wulf, der Geschäftsführerin des Landesverbandes Frauenberatung Schleswig-Holstein e. V., wurden dann praktische Umsetzungsmöglichkeiten der Konvention für Kommunen beleuchtet.

Portraitfoto Nadia Sosnowsky-Waschek
Prof. Dr. Nadia Sosnowsky-Waschek

Fakultät für Angewandte Psychologie | Professorin | Prodekanin

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Das Projekt GUIDE4YOU wird kofinanziert durch das Programm Rechte, Gleichstellung und Unionsbürgerschaft (2014-2020) der Europäischen Union.
Das Projekt GUIDE4YOU wird kofinanziert durch das Programm Rechte, Gleichstellung und Unionsbürgerschaft (2014-2020) der Europäischen Union.