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Corona contra geben! Angst vor der Impfung?

Viele Menschen stehen Impfungen generell skeptisch gegenüber. Prof. Dr. Helena Dimou-Diringer und Dr. Alexandra Edinger im Tipp #15 der Reihe "Corona contra geben" über die Gründe aus psychologischer Sicht.

Prof. Dr. Helena Dimou-Diringer und Dr. Alexandra Edinger aus der Heidelberger Akademie für Psychotherapie geben in dieser Reihe wertvolle Tipps für den Alltag in Corona-Zeiten. Unten stehend finden Sie die Links zu den bisherigen Folgen.

Impfskepsis statt Erleichterung?

Die lang gehegte Hoffnung wurde endlich erhört: Es existiert ein Impfstoff gegen das Corona-Virus. Gleichzeitig zeigen sich viele Menschen skeptisch, wenn es darum geht, sich selbst impfen zu lassen. Viele möchten warten, bis es erste Erfahrungswerte gibt. Und schwupps steht der Begriff „Impfgegner“ im Raum. Impfungen sind seit geraumer Zeit ein hoch emotionales Thema, das öffentlich sehr kontrovers diskutiert wird. Doch was hat es mit dieser Angst auf sich?

1. Impfen? Nein, danke!

Ganz unabhängig von der aktuellen Situation stehen viele Menschen Impfungen skeptisch gegenüber. Ein zuletzt sehr prominentes Beispiel stellt hierbei sicherlich die Masern-Impfung dar, die mit der seit Frühjahr letzten Jahres bestehenden Impfpflicht für Tätige im Gemeinschafts- und Gesundheitswesen für Furore sorgte. Aber warum diese Skepsis? Aus psychologischer Sicht liegen die Gründe auf der Hand und lassen sich prägnant bündeln:

  • Das Vertrauen in die Effektivität und Sicherheit der Impfung fehlt.
  • Die Risikowahrnehmung ist nur gering ausgeprägt: Impfungen werden als überflüssig wahrgenommen, da man das Risiko, zu erkranken als sehr gering einschätzt.
  • Unser Alltag stellt zu viele Hürden bereit, um uns impfen zu lassen: zu viel Stress, keine Zeit…
  • Die Risiko-Abwägung fällt so aus, dass wir den Nutzen als gering und das Risiko als hoch einstufen.
  • Die Verantwortungsdiffusion führt zu Gedanken, wie: Wenn alle schon geimpft sind, muss ich mich nicht impfen lassen.

Ganz allgemein steht folgender Gedanken hinter der Skepsis: es geht mir gut, warum sollte ich etwas unternehmen, was mir potentiell schaden könnte? Anders sieht es aus, wenn wir erkrankt sind. Hier sind wir viel eher bereit, uns ein Serum verabreichen zu lassen oder uns einer Behandlung zu unterziehen. Kurzum: fehlt der akute Leidensdruck, erscheint die Bereitschaft gering, etwas zu unternehmen.

2. Die Angst vor der Spritze

Ein weiteres ganz allgemeines Phänomen, das unsere Bereitschaft zur Impfung beeinflussen kann, stellt die grundsätzliche Angst vor Spritzen, Blut oder Verletzungen dar. Doch woher kommt diese Angst? Meist legen frühe negative Erfahrungen den Grundstein, die bis ins Erwachsenenalter abgespeichert werden. Aber auch das Verhalten von Eltern während der Impfungen des eigenen Kindes tragen zur Entstehung bzw. Aufrechterhaltung der Angst bei.

Bei manchen Menschen kann diese Angst bis zur Ohnmacht führen. Jedoch nicht die Angst vor einer Ohnmacht steht im Fokus der Betroffenen, sondern vielmehr die Sorge vor der hiermit verbundenen Peinlichkeit. Die Ohnmacht entsteht, weil Blutdruck und Pulsfrequenz kurz vor dem Setzen der Nadel rapide ansteigen. Anschließend entspannen sich die Gefäße der Muskulatur plötzlich, weshalb der Blutdruck abfällt und somit kurzzeitig zu wenig Blut im Kopf ist. Folge: man verliert das Bewusstsein. Sprechen Sie daher vorab mit Ihrem Arzt hierüber. Es gibt Möglichkeiten, hiermit umzugehen. Die sogenannte „Angewandte Anspannung“ hilft beispielsweise, einer Ohnmacht vorzubeugen: Vor, während und nach dem Setzen der Spritze spannen Sie wiederholt die Muskeln des nicht-injizierten Armes und der Beine an. Somit fällt der Blutdruck nicht so stark ab, die Ohnmacht bleibt aus.

Gegen ein diffuses Unbehagen hilft das Sammeln von Informationen: wie läuft das Spritzen ab? Was geschieht genau? Sorgen vor Knochenverletzungen oder anderen Komplikationen können so ausgeräumt werden. Darüber hinaus können Sie sich eine unterstützende Person mit zum Termin nehmen, deren Hand sie drücken können. Auch das Impfen im Sitzen gibt ein Gefühl der Kontrolle.

Sie selbst sind vielleicht gar nicht betroffen, sondern arbeiten mit Patienten oder haben Angehörige, die von derartigen Ängsten geplagt werden? Dann geht es darum, Ruhe auszustrahlen. Wichtig ist, die Ängste ernst zu nehmen, sachliche und realistische Informationen bereitzustellen. Phrasen wie „Das tut überhaupt nicht weh“ sollten dabei unbedingt vermieden werden.

Ablenkung hilft indes nur begrenzt. Eltern kleinerer Kinder können beruhigend einwirken und als Vorbild vorangehen. Sie sollten auf jeden Fall mindestens bis zum 10. Lebensjahr des Kindes während der Impfungen anwesend sein, um das Kind zu unterstützen.

3. Spezialfall Corona

Was macht nun aber die Impfung speziell gegen das Corona-Virus so umstritten? Viele sind durch die Schnelligkeit der Entwicklung verunsichert und fürchten noch unbekannte Langzeitfolgen der Impfung. Außerdem fürchten wir uns generell vor Neuem und Unbekannten. Die Schreckensbilder voller Intensivstationen, aufgehäufter Leichentürme und einsam sterbender Menschen scheinen diese Befürchtungen nicht aufzuwiegen. Wie kann die Angst also eingedämmt werden?

  • Rationalität: Gegen Angst hilft rationales Denken wie eine Wunderwaffe. Wichtig: sofern wir schon in der Angst sind, übernimmt das Gefühl. Daher beruhigen Sie sich zunächst und versuchen, offen für Informationen zu sein. Fakt ist, dass wir Herdenimmunität erreichen, sobald sieben von zehn Menschen geimpft sind. Somit können wir wieder normal leben.
  • Akzeptanz unveränderlicher Zustände: Machen Sie sich klar, Ängste sowie körperliche Beschwerden gehören zum Leben dazu und sind unvermeidlich. Durch die genaue Beobachtung dieser Zustände entsteht häufig eine ungünstige Selbstaufmerksamkeit, die wiederum neue Symptome generiert. Dieses System kennen wir von Panikattacken: Ich beobachte meinen Herzschlag ganz genau und stelle fest, dass das Herz alle 5 Minuten einmal stolpert. Folge: Es entsteht Angst, da ich das Auftreten eines Herzinfarktes befürchte. Durch die Angst nimmt der Herzschlag zu und ich beobachte weitere „Symptome“. Somit entsteht ein Teufelskreis, der sich auf sämtliche körperliche Zustände sowie Schmerzen übertragen lässt. Angst vor Nebenwirkungen einer Impfung können also dazu führen, dass ich diese im Sinne einer selbsterfüllenden Prophezeiung auch wahrnehme und sich diese durch die erhöhte Wahrnehmung noch verstärken. Daher sollten Sie Ihre Aufmerksamkeit lieber nach außen, weg von körperlichen Zuständen, richten.
  • Ausgewogene Informationen einholen: Interessant ist, dass die Bereitschaft zur Impfung mit dem Vertrauen in Politik und Staat sowie der Zufriedenheit mit dem bisherigen Umgang mit dem Pandemiegeschehen assoziiert ist, die Impfverweigerung hingegen mit einer erhöhten Verschwörungsmentalität. Daher: Verschließen Sie nicht die Augen vor bestimmten Informationen. Achten Sie auf Seriosität der Quellen und schauen Sie sich verschiedene Blickpunkte an. Nur so können Sie sich Ihre eigene Meinung bilden.
  • Sich seiner Verantwortung bewusst werden: Mit der Impfung schützen Sie in erster Linie natürlich sich selbst, tragen aber auch zum Erreichen der Herdenimmunität bei und somit zum Wohle aller. Studien zeigen, dass Nebenwirkungen und Schmerzen als deutlich weniger belastend erlebt werden, wenn wir einen tieferen Sinn in den Maßnahmen sehen.

4. Ich bin Arzt – was kann ich tun?

Sie sind Arzt und setzen sich gerade mit den Befürchtungen der Menschen in Bezug auf die neuartige Impfung auseinander? Toll! Als Arzt können Sie eine Menge tun, um den Ängsten und Sorgen entgegen zu wirken. Seien Sie empathisch und holen Sie die Menschen dort ab, wo sie gerade stehen. Reden Sie ihre Sorgen nicht klein. Sie stellen für diese eine Quelle der Information aber auch der Beruhigung dar. Sollten Sie bereits geimpft sein, können Sie ebenfalls Ihre persönlichen Beweggründe darlegen oder warum Sie vielleicht Ihre Kinder impfen lassen würden. Somit gehen Sie als gutes Beispiel voran.

5. Die Gerüchteküche brodelt

Ein Gerücht entsteht, wenn eine Information weitergegeben wird. Diese Information kann richtig oder falsch sein. Im Falle von Corona ist es jedoch schwierig, Desinformationen zu identifizieren, da Covid-19 relativ neu ist und klare Aussagen diesbezüglich nur schwer getroffen werden können. In vielen Belangen gibt es noch keinen wissenschaftlichen Konsens, da die Thematik einfach noch zu neu ist. Der ideale Nährboden also für Mythen. Mythen, die sich in ganzen Bewegungen niederschlagen. Ob in Demonstrationen der Querdenker oder Bewegungen im Internet, wie unter #IchLassemichnichtimpfen zu finden. Einzudämmen sind sie schwierig. Dies gelingt nur mit einer guten Kommunikation seitens der Wissenschaft sowie der eigenen Verantwortung, sich seriös zu informieren. Möglich ist dies z. B. auf den Seiten des Robert Koch-Instituts oder mit den Informationen unserer Impfexperten in Meine SRH. Erneut gilt: Eine schnell entfachte Emotionalität kann durch rationale und realistische Informationen eingedämmt werden.

Ein weiterer Artikel zum Thema Impf-Zweifel ist hier zu finden: Interview mit Psychologie-Professor Ralf Brinkmann

Hier geht es zu den bisher erschienenen Tipps der Reihe "Corona contra geben:

Portraifoto Helena Dimou-Diringer
Prof. Dr. Helena Dimou-Diringer

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